Wie riecht die Haut eines Tieres? Eines Tieres, das nicht mehr darin wohnt? Und, wie lange kann man diese Haut aufbewahren, bevor sie gegerbt werden muss? Noch nie haben sich mir ähnliche Fragen gestellt wie in diesen Herbsttagen. Aber jetzt beschäftigen sie mich. Sehr sogar. Die Werkzeuge, die sonst gut zur Recherche taugen, geben nun keine Antworten, die mich zufrieden stellen. Und die Menschen, die Antworten hätten, sind eher wortkarg, weil es zu ihren Wesen zu gehören scheint, nicht viel über das zu reden, was für sie selbstverständlich ist. Mal schauen, denke ich und stelle fest, dass es vielmehr der Geruch ist, der mir Sorge bereitet, nicht das Schauen. Der Geruch der Haut eines Tieres, das nicht mehr darin wohnt – dieser Haut, die später, wenn sie Leder ist, und ich sie zu einer Tasche zusammennähen kann, so wunderbar riecht.
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Kurz bevor ich losfahren will, klingelt das Telefon. Das Display kündigt meinen Schwager an, mit dem ich an diesem Morgen verabredet bin. «Die Felle sind weg», sagt er, «du musst nicht fahren.» Nein, denkt es mir, das darf nicht wahr sein. Mein Schwager ist Jäger und war bereit, für mich Felle der diesjährigen Gamsjagd zu organisieren. Die Gamsjagd ist bereits vorbei. Und das bedeutet: Kein Gämsleder für meine Werkstatt bis zur nächsten Jagdsaison. «Okay», sage ich, «was ist passiert?» «Wahrscheinlich hat jemand den Sack entsorgt.» Was ich in diesem Moment nicht wahr haben will, ist eigentlich nichts Aussergewöhnliches. In der Schweiz ist die Haut der Tiere, die auf der Jagd erlegt werden, grösstenteils Abfall. Als ich das zum ersten Mal hörte, konnte ich es kaum glauben. Es erschien mir unmöglich. «Blöd, wegen dem Mobility», sagt mein Schwager und holt mich von meinem Gedankenausflug ans Telefon zurück. «Nein, nein», sage ich und, «kein Problem, ich habe das Auto einer Freundin.» Meine Freundin hatte mir ihr Auto ohne mit der Wimper zu zucken für diesen Transport ausgeliehen, weil es mir irgendwie unbehaglich war, ein Mobility dafür zu mieten. Warum eigentlich, frage ich mich jetzt?
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Eine halbe Stunde später fährt mich das Auto meiner Freundin Richtung Berner Oberland. Mein Schwager hat die Felle doch noch gefunden und mich noch einmal angerufen. Etwas aufwieglerisch fühlt sich mein Inneres an, und ich hoffe, dass sich mein Magen so verhält, wie er das normalerweise tut. Haut ist etwas Besonderes. Das Ausmass dieser Besonderheit hat sich in den letzten Monaten langsam in meinem Bewusstsein ausgedehnt. Haut ist die Hülle unseres Körpers, unser «Reisesack des Lebens», wie Musil schrieb. Sie hat etwas mit der, unserer, Grenze zwischen Innen und Aussen zu tun. Wir sagen, dass wir uns wohl fühlen in unserer Haut. Oder unwohl. Oder aus ihr fahren könnten. Wir verstehen sie als eine Art Membrane und sagen, dass uns etwas unter die Haut geht. Diese Membrane und ihre Durchlässigkeit wurde und wird von Menschen in verschiedenen Epochen und Kulturen unterschiedlich verstanden und erzählt. Das widerspiegelt sich nicht nur in der Sprache, sondern auch in der Heilkunst.*
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Ein Bahnhofparking in den Bergen ist der Ort eines Tausches, für den mir im Vorfeld jede mir bekannte Währung unpassend erschien. Ich bin dankbar, einen Tauschpartner zu haben, der mir sagen konnte, was der Situation angemessen ist und tausche nun zwei Kisten Bier gegen drei frische Gämsfelle. So haben wir es vereinbart. Ich muss mich überwinden, den Sack anzufassen, der die Häute enthält und fühle mich wie eine Städterin, die ich ja auch bin, inmitten dieser rauhen Landschaft, in der die Häute bis vor kurzem noch mit den drei Gämsen durchs Leben gereist sind. Lost in Translation. Verloren in der Übersetzung. So könnte der Titel der Szene lauten, in der ich auf dem Bahnhofparkplatz zu navigieren versuche. Welche Geschichte wird hier erzählt? In welcher Logik, Struktur, Sprache? Wie kann das Alles zusammengebracht werden: die Gämsen, der Jäger, ich, das Auto, der verlorengegangene und wiederaufgetauchte Sack mit den Häuten?
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Als ich mit dem Auto meiner Freundin und dem Sack hinten im Kofferraum losfahre, wage ich nicht, die Heizung aufzudrehen. Ich schnuppere vorsichtig nach meiner Fracht, die mir äusserst kostbar und höchst eigenartig zugleich erscheint. Nichts. Während der Fahrt kreisen meine Gedanken um diesen Sack, der in mir eine überraschende Hilflosigkeit auslöst, so dass mir gleichzeitig nach Lachen und Weinen ist. Erst später, als ich die Häute in der Gerberei in kundige Hände gegeben habe und die Heizung das Innere des Autos und auch meines wieder aufwärmt, breitet sich Erleichterung aus. Unterwegs halte ich an einem Waldrand an und gehe ein paar Schritte hinein. Da plätschert mir munter ein Bach entgegen und ich tauche meine Hände hinein. Kühl fühlt sich das Wasser an. Ich beobachte, wie sich meine Hände vom kalten Wasser langsam rot verfärben und habe das Gefühl, diese, meine, Haut heute zum ersten Mal richtig wahrzunehmen.
Zum Besuchen und Vertiefen:
Die Jäger*innen des Kandertals.
*Martin Koradi, Phänomen Haut. Die Haut im Wandel der Zeit, 2008.